Mittwoch, 11. März 2020

2. Teil: Kaiser Otto IV. beendet sein Leben auf der Harzburg


 Otto IV. - gebannt, entmachtet und dennoch Kaiser


Nach der salischen und staufischen Phase in der Geschichte der Burg folgt ein welfisches Intermezzo. 1208 fand der dritte Sohn Heinrichs des Löwen und der englischen Königstochter Matilda, Otto IV., nach zehnjährigem politischem Kampf (mit viel „Geschachere“ um die Gunst der Fürsten) und Land verheerenden kriegerischen Auseinandersetzungen um die Königsherrschaft mit dem jüngsten Sohn Barbarossas, dem Herzog Philipp von Schwaben, - nach dessen Ermordung - allgemeine Anerkennung als König. Auch die staufische Partei und der Papst einigten sich nun auf den mit nahezu allen Königshäusern Europas verwandten und mit vornehmstem Stammbaum versehenen Welfen, zumal er Versprechungen nach allen Seiten abgab. Endlich sollte Ruhe im Reich einkehren. Auch die Grafen von Wohldenberg gingen auf seine Seite über und die Harzburg gelangte in die Hand Ottos. 


Otto IV.
Otto IV. - Maria von Brabant
Siegel Ottos IV. ("Otto aus Gottes Gnade römischer König und immer Augustus") und seiner zweiten Gemahlin Maria von Brabant ("Maria aus Gottes Gnade  römische Kaiserin und immer Augusta"). Die Kaiserin hält ein Sonnenszepter in den Händen, begleitet von einer als weiblich geltenden Mondsichel, beides Zeichen ihrer kosmisch verankerten Würde und zugleich Hinweis auf  die Vereinigung der vom Kaiser repräsentierten männlichen und der von ihr vertretenen weiblichen Seite der Weltherrschaft (Nachzeichnungen aus Scheid: Origines Guelficae, Bd. 3)

Otto IV.
Kaiserliche Goldbulle (Siegel) Ottos IV. Hier läßt sich Otto mit Kreuzzepter, Kreuzreichsapfel auf einem Thron, umgeben von Sonne und Mond darstellen. Das Siegel nimmt Darstellungen Christi als kosmischer Weltenherrscher (Pantokrator) auf. Der Kaiser drückt damit aus, dass er als Herrscher die Stellvertretung Christi auf Erden wahrnimmt (Bildquelle unbekannt)


Christus in seiner himmlischen Majestät ( Deckengemälde im Chor des Braunschweiger Doms - um 1250)

Der 1209 als erster und einziger Welfe zum Kaiser gekrönte Otto wird aber schon kaum ein Jahr später von seinem bisherigen Förderer, Papst Innozenz III., exkommuniziert. Der frisch gekrönte Kaiser will auf seinem Italienzug die Reichshoheit in Mittel- und Unteritalien kriegerisch herstellen. Damit greift er in päpstliche Besitz- und Verfügungsansprüche ein (in das „Patrimonium Petri“ in Mittelitalien - dem Territorialbesitz des Papstes - und die von diesem beanspruchte Lehnshoheit über das Königreich Sizilien).  Der Stauferanhang verlässt Otto, als Friedrich, Zögling des Papstes, Enkel Friedrich Barbarossas, Sohn Kaiser Heinrichs VI., König von Sizilien, in Deutschland erscheint und vom Papst und Staufer freundlichen Fürsten als Gegenkönig aufgestellt wird. Auch geistliche Fürsten wenden sich unter dem Druck des Papstes von Otto ab und Friedrich zu, was diesem den Spottnamen "Pfaffenkönig" von Seiten Ottos  und der ihm ergebenen Publizistik eintrug. Friedrich wird 1212 in Mainz als Friedrich II. zum König und designierten Kaiser gekrönt. 

Otto IV.
König Otto IV. wird von Papst Innozenz III. bei seinem Italienzug 1209 freundlich empfangen. Der Maler weiß aber, dass die Freundschaft nicht lange anhielt. Im Hintergrund kommen schon - zeitlich vorweggenommen - die Schiffe seines Konkurrenten Friedrich II. an (Bild: aus der Werkstatt Diebold Lauber, Hagenau, um 1450; UB Uni Heidelberg)

Nach der Rückkehr aus Italien beginnt der Verfall der Herrschaft Ottos, trotz mancher glänzender Aufschwünge, wie Hoftage und Ritterfeste, vollends nach dem plötzlichen Tod seiner ersten Gemahlin, Beatrix von Staufen, der Tochter Philipps von Schwaben. Sie war nach der Ermordung ihres Vaters im Alter von 11 Jahren aus politischen Gründen mit Otto verlobt worden. Die 1212 geschlossene Ehe mit der 14-jährigen währte nur 21 Tage. (Die Todesursache ist ungeklärt. Es ist nicht verwunderlich, dass das Gerücht aufkam, sie sei vergiftet worden.) Der Tod der Stauferin veranlasste staufische Parteigänger zum Abfall von Otto. Wie schon in der Anfangszeit Ottos hat das römisch-deutsche Reich wieder zwei Könige, „hie Welf, hie Waibling (Staufer)“! 

Die Schlacht von Bouvines (zwischen Lille und Tournai) 1214 besiegelt den Abstieg des Kaisers. Sie läutet das Ende des universalen Anspruchs des mittelalterlichen römisch-deutschen Kaisertums ein und verändert die politischen Verhältnisse Europas grundlegend. 

Der am englischen Königshofe (auf Grund des englischen Exils seiner Eltern) erzogene und von seinem Onkel Richard Löwenherz geförderte, mit dem damaligen englischen König Johann „Ohneland“ verwandte und verbundene Otto stellt sich dem Expansionsdrang des mit Friedrich II. verbündeten französischen Königs Philipp II. entgegen. Philipp hatte seinen Machtbereich auf die englischen Festlandsgebiete ausgedehnt. Otto war nicht nur als Verwandter der Plantagenêts, sondern auch als ehemaliger Graf von Poitou und Herzog von Aquitanien - wozu ihn der inzwischen verstorbene König Richard 1196 gemacht hatte - in besonderer Weise betroffen. Er zieht mit einem Aufgebot von sächsischen, lothringischen, flandrischen und englischen Rittern sowie zahlreichem Fußvolk einem fast ebenso starken französischen Heer entgegen. Als es zur Begegnung kommt und der Kampf sich zu seinen Ungunsten wendet, rettet sich Otto vor der Gefahr, getötet oder gefangen genommen zu werden, durch Flucht. Die Schlacht endet in einem Desaster für seine Truppen. Der siegreiche Philipp nennt sich nun „Augustus“ (wie Otto) und sendet die zerbrochenen und zusammengeflickten Reste der erbeuteten kaiserlichen Feldstandarte (in Form eines goldenen Reichsadlers) Friedrich II. zu. Fortan sieht sich der französische König als gleichberechtigt zum römischen Kaiser an.

Otto IV.
Schlacht bei Bouvines - Kaiser Otto IV. (rechts) und König Philipp von Frankreich reiten gegeneinander an (Grandes Chroniques de France, 14. Jh., Nationalbibliothek Paris)

Otto muss sich auf seine nordharzisch-braunschweigischen Stammgebiete zurückziehen, von wo aus er nur noch zu einzelnen Kriegszügen Richtung Norden aufbricht.  Er regiert von den Harzburgen und dem ihm treu ergebenen Braunschweig aus, ohne noch nennenswerten Einfluss auf das Reich zu haben. Dennoch sieht sich der gebannte und entmachtete Kaiser, der immer noch die Reichsinsignien in seinem Besitz hat, bis zuletzt als rechtmäßiger König und Kaiser.

Über Otto IV. weiß der geschichtsinteressierte Deutsche wenig - es sei denn, er ist  dem Geburtsort des Königs, Braunschweig, verbunden, wo man sein Andenken hoch hält - obwohl seine Politik folgenreich für das Reich war. Bernd Ulrich Hucker hat in seinem Buch „Otto IV., Der wiederentdeckte Kaiser“ (Frankfurt/M. und Leipzig, 2003) den Versuch gemacht, den bisherigen "Fußnotenkaiser" der Vergessenheit zu entreißen.

Otto IV.
Otto IV. und seine zweite Gemahlin Maria von Brabant am Altstadtrathaus in Braunschweig (um 1450 - Bild: wikimedia commons - Autor: Brunswyck)

Dass Ottos Politik und Person schon bei den Zeitgenossen umstritten war, ergibt sich aus dem bisher Geschilderten. Der Staufer freundliche Prämonstratenser-Probst Burchard von Ursberg bezeichnet ihn in seinem 1229/30 geschriebenen "Chronicon" (anno 1198) als "superbus et stultus, sed fortis" ("hochmütig und töricht, aber tapfer"), auch als "contumax" (trotzig). Anhänger heben Ritterlichkeit, Frömmigkeit und Kunstsinn hervor. Es wird wohl alles Anhalt in der Person und im Verhalten Ottos gehabt haben. Was hervorgehoben wurde, war eine Sache der Parteienzugehörigkeit und der Perspektive. Ich fasse hier kurz zusammen, wie sich mir seine Gestalt darstellt. 

Otto ist es nicht gelungen, im schwierigen Wechselspiel zwischen Königsmacht, Fürstenrivalitäten und Papstansprüchen einen Konsens zu erzielen und eine Mehrheit auf die Dauer an sich zu binden. Seiner oft starrsinnigen Politik fehlten Kontinuität, Konsequenz, Realitätssinn und Weitsicht. Als Kaiser versucht der Welfe wie seine salischen und staufischen Vorgänger eine Politik der Stärkung der Reichsmacht zu betreiben, scheitert aber an den Widerständen, die ihm Fürsten, Papst und andere europäische Herrscher entgegensetzen. Sein großer Fehler war, sich mit dem mächtigen Papst Innozenz III. anzulegen, was dazu führte, dass er die Chancen, die sich ihm nach der allgemeinen Anerkennung bei seiner Krönung boten, verspielte.

Hervorhebenswert ist die Förderung von Bautätigkeit, Kunsthandwerk und Dichtung. Otto ist die Errichtung und der Ausbau von Klöstern (Walkenried, Riddagshausen, Ebrach u.a.), Kirchen (Dome zu Magdeburg, Braunschweig...), königlichen Residenzen (Goslar, Harzburg...) und städtischen Anlagen (Braunschweig...) zuzuschreiben. An seinen Hoftagen trafen sich Ritter, Minnesänger und gebildete Geistliche zu Austausch, Festen und Turnieren.  Wolfram von Eschenbach und Walter von der Vogelweide standen dem König zeitweise nahe. In deren literarischer Produktion finden sich Bezüge zu ihm. 

Otto gehört zu den Stiftern des „Dreikönigsschreins“ in Köln, auf dem er als "vierter König" abgebildet ist und als "OTTO REX" signiert. Die Stiftung hatte Otto als Dank für die Unterstützung des Kölner Erzbischofs Adolf und der Kölner gegen seinen Konkurrenten Philipp unternommen. Es war der Erzbischof von Köln - als traditioneller "Königsmacher" - der ihn 1198 im Aachener Marienmünster - dem althergebrachten Krönungsort - zum König krönte. Gleichzeitig verlobte sich Otto mit der 8-jährigen Maria von Brabant, die später seine zweite Gemahlin wurde. Im eiligen Gegenzug ließ sich Philipp von Schwaben zwei Monate später im Mainzer Dom durch einen nicht zuständigen Erzbischof Aymon von Tarentaise (Burgund - damals nominell zum Reich gehörig) krönen - mit den "echten" Krönungsinsignien, die in der staufischen Reichs-Burg Trifels verwahrt wurden. (Sie gelangten erst nach dem Tode des Staufers in Ottos Hände - bei seiner Krönung hatte er Ersatzinsignien anfertigen lassen.)
 
Otto IV.
Kölner Dom - Dreikönigsschrein / Stirnseite. Links unten die Drei Könige gefolgt von Otto IV. als "viertem König".

Die Vorderseite des Schreines wurde um 1200 von König Otto IV. gestiftet. Sie ist als einzige der Seiten aus reinem Gold gefertigt. Hier sind auch die größten und kostbarsten antiken Schmucksteine (aus Byzanz) angebracht. Die Reliefs zeigen unten die Anbetung der Könige, gefolgt von Otto (ohne Krone und Königsinsignien, die er dem Kinde symbolhaft darbietet), Maria mit dem Kind, die Taufe Christi und oben Christus als Weltenrichter, umgeben von zwei Cherubim. Die Trapezplatte zwischen oberer und unterer Zone ist abnehmbar. Hinter einem Gitter werden die (angeblichen) Schädel der Magier bzw. "Könige" sichtbar. Für diese hatte Otto goldene Kronen gestiftet. Königskrone und Krönungsmantel, die er hatte anfertigen lassen, schenkte er der Kölner Kirche und damit - dem damaligen Verständnis nach - Christus (Bild: www.koelner-dom.de)




Otto IV.
Otto IV. als Kaiser auf dem Karlsschrein in Aachen ("Otto IIII Romanorum Imperator") Der Karlsschrein bewahrt die Gebeine Karls des Großen. Auf den Seitenflächen zeigt er 16 römisch-deutsche Kaiser. Der Schrein entstand zu Lebzeiten Ottos IV. und wurde 1115 von Friedrich II. bei der (zweiten) Krönung zum römisch-deutschen König geschlossen. Faktisch regierte zu dieser Zeit Friedrich als König im Reich, nominell blieb Otto Kaiser (Bild: AllPosters.com)

 

Der Kaiser stirbt - Folge eines Mordanschlages oder eines Medizinmissbrauches? 


Im Mai 1218 unterzieht sich Otto einer Reinigungskur („stomachum purgare“) – was er jedes Jahr zu tun pflegte - auf seiner von ihm 1203 - zur Kontrolle Goslarer Handelswege - errichteten Eigenburg „Harliburg“ (über Goslar-Vienenburg, sie wurde auf dem Gebiet des Klosters Wöltingerrode errichtet und gehörte damit zu den "Schäden", die Otto "anderen Kirchen" zugefügt hat und in seinem Testament gutmachen will). 

Ein „amicus“ (Freund) schickt ihm „pillulas“ – wohl ein Abführmittel, das er einnimmt. Die Wirkung ist „fatal“. Von ruhrartigen, blutigen Durchfällen, geschüttelt, lässt sich der Kaiser in die wohnlichere und mehr Sicherheit bietende Reichsburg „Harzburg“ bringen. Er fühlt sein Ende nahen. 

Es verwundert, dass in der renommierten Geschichtsforschung nicht erörtert wird, ob der Kaiser einem Giftanschlag zum Opfer gefallen ist. Der frühe und rasche Tod erscheint sonderbar.

Otto hatte Feinde - vor allem war er Friedrich II. im Wege. Auch im nahen Goslar gab es Gegner - 1203 hatte Otto die im Thronstreit auf Seiten Philipps von Schwaben stehende Stadt belagert und ihr großen Schaden zugefügt. Ottos Bruder Wilhelm von Lüneburg, der Reichs-Truchsess Gunzelin von Wolfenbüttel und Braunschweiger Gewappnete hatten Goslar 1206 eingenommen und geplündert. Vom Sieg Ottos über die Goslarer zeugt ein Steinbild an der Jakobikirche in Goslar, das einen Löwen zeigt, der einen Drachen besiegt. 

Otto IV.
Goslar Jakobikirche: Löwe besiegt Drachen - Sinnbild für den Sieg Ottos IV. über die stauferfreundlichen Goslarer

Giftanschläge gegen Herrscher waren dem Mittelalter nicht unbekannt. So wird der frühe Tod von Kaiser Otto III. (1002, mit 22 Jahren in der Nähe Roms) in der "Vita Meinwerci" (cap. VII) durch einen Vergiftung erklärt, den die Witwe des von Otto hingerichteten römischen Stadtpräfekten Crescentius veranlasst habe, einem Anführer der Opposition gegen Otto III. und  dessen Verwandten Papst Gregor V.. Auch von dem Papst ging das Gerücht, er sei vergiftet worden. Der Chronist Annalista Saxo bemerkt zum frühen Tod Heinrichs des Stolzen, Herzog von Bayern und Sachsen - einem welfischen Vorfahren Ottos, der fast König geworden wäre - "veneficio ut fertur infectus" - "er sei - wie es heißt - einem Gifttrank zum Opfer gefallen" (anno 1139). Die Forschung ist allerdings der Meinung, dass die unerwarteten Tode mittelalterlicher Fürsten oft mangels anderer Erklärungen auf Gift zurückgeführt wurden. Die Tode derer,  die in Italien geweilt hatten, gingen meist auf akute, auch verschleppte Malaria oder Amöbenruhr zurück. In dieser Hinsicht könnte Otto IV. eine Vorerkrankung gehabt haben.

Die Vermutung, dass Otto IV. einem Mordanschlag zum Opfer gefallen sein könnte, ist nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Dem steht nicht unbedingt entgegen, dass ihm die Medizin von einem "Freund" geschickt wurde - eine Vertauschung oder ein Komplott wäre ja möglich gewesen - dagegen spricht aber, dass die Zeitgenossen keinerlei Verdacht dieser Art äußerten, womit man damals schnell bei der Hand war. 

Wir wissen nicht, was das Mittel enthielt, das Otto einnahm. Aber die mittelalterliche Medizin kannte durchaus giftige Bestandteile in Abführmitteln. Hildegard von Bingen beschreibt in ihrem Heilbuch "Causae et curae" (IV) die Zubereitung eines Abbführmittels, das eine kleine Menge Wolfmilchsaft enthalten soll. Die Einnahme einer größeren Menge Wolfsmilchsaftes führt aber genau zu den Symptomen, die Otto erlitt. So wollen wir es einmal dabei belassen, dass Otto zuviel einer Mixtur von im Übermaß giftig wirkenden Kräutern oder Chemikalien eingenommen hat und daran gestorben ist.

Ein Bericht über den Tod des Kaisers


Über das letzten Tage des Kaisers (Friedrich II. wurde erst 1220 Kaiser) sind wir gut durch einen Augenzeugenbericht unterrichtet, den wahrscheinlich der Zisterzienserabt von Walkenried, Friedrich, verfasste: „Narratio de morte Ottonis IV. imperatoris“ – „Der Bericht über den Tod des Kaiser Otto IV.“ (Otto begünstigte die Zisterzienser und stützte sich auf diesen Orden. Das Kloster Walkenried entstand unter seiner Förderung - und brachte ihm durch Bergwerkstätigkeit viel Geld ein.) In diesem Bericht ist das Testament Ottos enthalten, das auch separat als Handschrift überliefert wurde und im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel aufbewahrt wird (hrsg. von L. Weiland in den „Monumenta Germaniae Historica, abgek. MGH“, Testamentum Ottonis IV. Constitutiones, Nr. 42, p. 51). Das Testament ist nicht nur für das Verständnis Otto IV. wichtig, sondern stellt auch das erste vollständige, authentische, im Original erhaltene, schriftliche Testament eines deutschen Kaisers dar und ist somit ein Geschichtszeugnis ersten Ranges. Damit wird auch die geschichtliche Bedeutung der Stätte der Abfassung, die Harzburg, hervorgehoben. 

Otto IV.
Testament Ottos IV. (Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel, Foto: Keiser)
 
Ich zitiere die „Narratio“ nach dem „Thesaurus novus anecdotorum…“, Tomus III, pp. 1374-78, den die benediktinischen „Forschungsreisenden“ Edmont Martène und Ursin Durand  1707 im Archiv des Kloster Villers in Brabant auffanden und veröffentlichten. (Der Bericht ist wahrscheinlich über die Kaiserinenwitwe, Maria von Brabant, in das Kloster gelangt.) Martène/Durand bilden auch die Vorlage für den Bericht in der erzählenden Quellensammlung zu den welfischen Herrschern des gelehrten hannoverschen Hofrates und Bibliothekars Christian Ludwig Scheid „Originum Guelficarum…“, Hannover 1752, Tomus III, Liber VII, Caput V, §§ 94, 96.
Zur Analyse habe ich herangezogen:  Claudia Lydorf, Das Testament Kaiser Ottos IV. (2007), in: „forum historiae iuris“ – www.forhistiur.de )

Die „Narratio“ hält daran fest, dass der in Aachen und Rom gekrönte Otto rechtmäßiger König und Kaiser ist und geht davon aus, dass die Exkommunikation zu Unrecht erfolgte. Der Verfasser will erweisen, dass Otto ein „gutes Sterben“ absolvierte, wie es von einem christlichen Fürsten erwartet wird und wie es in einer ähnlichen Lage auch von seinem Namens- und Amtsvorgänger Otto III. berichtet wird.

Der Sterbende zeigt sich als um sein „Seelenheil“ besorgt und bemüht. Er lässt drei hoch gestellte, ihm nahe stehende bzw. von ihm begünstigte Geistliche rufen, vor denen er die Beichte ablegen will. Sie sollen ihm die Sterbesakramente reichen und die Absolution (und damit die Lossprechung vom päpstlichen Bann) erteilen. Er bereut Verfehlungen gegenüber der Kirche und unrechtmäßige Handlungen in Bezug auf Menschen und Güter. In den Anordnungen seines Testaments will er sie wieder gut machen. Um sich von der Exkommunikation durch Ungehorsam gegenüber dem Papst zu lösen, erinnert er an den seinerzeit bei seiner Kaiserweihe in Rom gegebenen Treueschwur - der ja als Schwur noch gültig ist - er wiederholt ihn also nicht noch einmal! Er erinnert auch an den Vorbehalt, mit dem er den Treueid vorgenommen hat:
„Außerdem, Herr Abt, habe ich bei meiner Absolution [in Rom?] über den Reliquien von Simon und Judas, die ich  von Goslar mir herbeibringen ließ, geschworen (juravi), dass ich bei allem, was ich im Lebenslauf noch auszuführen vermag, unter dem Gebot des Herren Papstes bleiben werde, ausgenommen aber, was meine [imperiale] Herrschaft betrifft, zu der ich nach kirchlichem Recht erwählt und feierlich befördert wurde; [Zufügung des Bericherstatters:] eine Ausnahme, die er immer bei allen aufrecht hielt.“
Otto gibt damit zu verstehen, dass nicht  er vom Papst abgefallen sei, sondern dieser ihn in die Rolle des Unbotmäßigen gedrängt habe. Außerdem wahrt er durch den Vorbehalt seine kaiserliche Würde und ordnet sich nicht dem Suprematsanspruch (Überordnung) der Päpste über die weltliche Herrschaft unter (den auch Innozenz III. massiv vertrat). Er bleibt somit in der (konfliktreichen) Tradition seiner Vorgänger, die auch Friedrich II. fortsetzt.

Als erster der herbei gerufenen Geistlichen war Probst Goswin vom Zisterzienserinnenkloster Sankt Burchardi in Halberstadt am Sterbelager eingetroffen – der rangniedrigste der Geistlichen. Er hatte Otto die Beichte unter dem „Vorbehalt des Schwurs“, dass er „unter jedem Auftrag des Papstes (ad omne mandatum Papae staret) bleiben werde“, abgenommen, ihn absolviert und die letzte Ölung erteilt. Auch vor dem Bischof von Hildesheim, Siegfried, der als Ranghöchster und maßgeblicher geistlicher Besiegler zuletzt – in der Nacht vor dem Tode Ottos - eintrifft, legt er die Beichte ab. (Der Bischof verschwindet dann rasch in seiner „Herberge“ / „Hospitium“). Der entscheidende Akt - nach der Narratio - war aber das Bekenntnis zum Papst und die darauffolgende Absolution durch den Abt von Walkenried, der als Abt eines großen und reichen Klosters eine einflussreiche Stellung innehatte. (Wenn Friedrich von Walkenried der Verfasser ist, dann streicht er damit seine Rolle heraus. Der Abt sollte eigentlich als erster kommen, seine Ankunft aber hatte sich verzögert, und so wird es möglich, dass sein ausführlich geschilderter Auftritt an zentraler Stelle der Szenenabfolge stattfindet, sicher eine bewusste Komposition!)

Nach offensichtlicher Auffassung des Verfassers waren mit der dreimaligen Beichte vor hochrangigen Würdenträgern der Kirche, auch dem zuständigen Ortsbischof, der Reue des zu Absolvierenden, dem Treuebekenntnis zum Papst und den Wiedergutmachungsanordnungen, die notwendigen Bedingungen zur Aufhebung des päpstlichen Bannes gegeben. Diese Auffassung konnte sich auf  kanonische (kirchenrechtliche) Bestimmungen stützen, die Papst Innozenz in einem Dekret festgelegt hatte (Dekretale „ A nobis“, 1199), mit der Einschränkung allerdings, dass die Exkommunikation bei einem reuigen Sünder „post mortem“, also nach dem Tod, aufgehoben werden könne, wobei dann den Erben die Wiedergutmachungsleistungen obliegen. Somit konnte und musste auch als Beweis für das erfolgte Verfahren eine Absolutionsurkunde ausgestellt werden, die durch den Hildesheimer Bischof bestätigt und mit der kaiserlichen Goldbulle gesiegelt wurde. 

 

Ein zeremonielles Sterben


Die Umstände und die Stellung Ottos machten ein quasi öffentliches Sterben notwendig, bei dem das „Zeremoniell“ gewahrt, das Geschehen „protokollarisch“ dokumentiert, und von fähigen Zeugen begleitet werden sollte. Wir haben hier nicht einfach einen „Erlebnisbericht“ vor uns, sondern ein quasi „amtliches“ Zeugnis, für den Papst, die Archive und die Öffentlichkeit. Das entspricht durchaus dem Stil Ottos, der das „Kanzleiwesen“ in seiner Regierungstätigkeit sehr förderte. Es versteht sich, dass der Bericht auch „Hofgeschichtsschreibung“ und – unserem Verständnis nach - „idealisiert“ ist, wenn auch die offensichtliche Augenzeugenschaft des Verfassers die Nähe der Schilderung zum faktischen Geschehen annehmen lässt. Ob der Nachfolger von Innozenz, Papst Honorius III., die Aufhebung der Exkommunikation tatsächlich bestätigt hat, ist nicht zweifelsfrei verbürgt; jedenfalls ging die Nachwelt  von der Aufhebung des Kirchenbanns aus.

Es kann als sicher gelten, dass der Hof Ottos, seine Kanzlei und der Kaiser selbst bei all diesen Geschehnissen rechtlich, theologisch und konzeptionell beraten worden war.

Man hat vermutet, dass dies auch durch den rechtskundigen anglo-normanischen Gelehrten Gervasius von Tilbury erfolgte, der Otto sehr nahe stand, und der für dessen „kaiserliche Mußestunden“ eine Weltgeschichte und -beschreibung verfasste („Otia Imperialia“). Möglicherweise war Gervasius zu dieser Zeit Probst des Benediktinerinnenklosters Ebstorf  und vielleicht Urheber der „Ebstorfer Weltkarte“.  Auch ist bezeugt, dass ein Gervasius als Notar der Welfen tätig war.  Hucker und Lydorf vermuten, dass Gervasius das Testament Ottos bei seinem Tode niederschrieb, wobei es dann kurz nach Tod des Kaisers in offizieller Reinschrift niedergelegt und unterzeichnet wurde.

Doch zurück zum Sterben des Kaisers. Vor der Beichtabnahme durch den Abt hatte Otto das offenbar zahlreiche Gefolge bis auf den Abt, die Kaiserin, „circa neun“ Priester und einige Adlige aus dem Raum geschickt.

Nun folgt ein geradezu liturgisch und dramatisch gestalteter Ablauf: der Kaiser ordnet an, dass ein Teppich ausgelegt werde. Er erhebt sich - sicherlich mühsam - aus dem Bett, vom Abt gestützt, und stimmt selbst – nach dem Bericht bei Matène/Durand - den Antiphon an: „Media vita in morte sumus…“  („Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“). Unter den Anrufungen Gottes und Christi im Antiphon verrichtet er sein Privatgebet stehend – wie es die Konvention erfordert – „mit nach oben gerichteten Augen und erhobenen Händen unter Tränen“. Wohl wieder im Bett, bittet er einzelne Priester, ihre Stolen anzulegen, dann, „auf dem Teppichboden hingestreckt“, ergreift er die Stola des Abtes – Abzeichen geistlicher Würde - und schlingt sie sich um den Hals. Er ruft alle zu sich, bittet sie, aufmerksam zuzuhören und beginnt seine Beichte:
„Unter dieser Stola bekenne ich euch allen, dass ich schwer gesündigt habe wider den Römischen Stuhl“ und fügt hinzu. aus dem der Herr mich durch die Fürsten beehrt hat, die mich einmütig zum König erwählt haben und der Herr Papst, nach bestätigter Wahl, zum Kaiser geweiht hat.“
Otto betont hier die Legitimität seiner Erwählung, wobei er die Wahl durch die Fürsten als maßgeblicher weltlicher Instanz hervorhebt und letztlich seine Berufung auf Gott zurückführt. (Auch darin liegt eine indirekte Kritik an den Allmachtsansprüchen von Innozenz III.) Er ist König und Kaiser durch Fürstenwahl und „Dei gratia“, nicht durch ein Entscheidungsrecht des Papstes. Dann fährt er fort in seinem Bekenntnis zur „Widerspenstigkeit“ gegenüber dem Papst, seinen Abgesandten, der Römischen Kirche und dem Schaden, den er „anderen Kirchen“ zugefügt hat. Sofort erinnert er aber auch an seinen Treueschwur zum Papst mit der schon erwähnten Einschränkung.

Dann folgt die „Generalbeichte“, der er eine spezielle „Sünde“ zufügt. Er berichtet, dass er nach der Kommunion bei der Kaiserweihe nicht gewusst habe, wie er die empfangenen  Wohltaten Gott vergelten könne, er habe dann seinem Erlöser Christus Körper und Geist geweiht. Bei seinem Abschied aus Rom habe ihn der Bischof von Cambrai beiseite genommen und ihm ein Kreuz überreicht. Dies verstand er als Verpflichtung zur Kreuzfahrt ins Heilige Land, die einem christlichen Kaiser ja auch wohl angestanden hätte. Er habe zwar immer auf die Gelegenheit gewartet, das Vorhaben auszuführen, aber der „Diabolus“ wusste es zu verhindern. Das Kreuz trage er bis heute heimlich unter dem Gewand. Nach diesem Bekenntnis löst ihm die Kaiserin das Kreuz vom Hals. Doch der Abt gibt es ihm „zum zweiten Mal“ und gebietet dem Kaiser, es „auf Grund der Freisprechung von allen seinen Sünden öffentlich zu tragen“.

Nach der Beichte unterwirft der Kaiser sich zum Zeichen seiner Reue quälerischen, aber auch konventionellen und demonstrativen Bußleistungen: „völlig entblößt“ auf dem Boden hingestreckt, lässt er sich von Geistlichen mit Weidenruten geißeln, während diese „Miserere mei Deus…“ („Erbarme dich meiner Gott…“) singen.  Dabei ruft er: „Eia, schlagt heftiger auf mich Sünder ein.“ Nach Beendigung des Psalms besteht er darauf, dass sie ihn weiter schlügen, es sei noch nicht genug. Das rührte alle zu Tränen. Die Priester beendeten die Prozedur mit der Zusage „Misereatur“ („er hat sich erbarmt“) und „Indulgentiam…“ („er hat Vergebung gewährt“), „ihnen und Gott genüge es, man wolle nicht fortfahren, bis das Blut fließe.“ Anschließend hob man den Erschöpften wieder ins Bett, und auf sein Geheiß zogen sich die Anwesenden zum Mittagsmahle zurück. Der Vorgang der „disciplina“, d.h. der Geißelung, wiederholt sich noch einmal nach der Beichte vor dem Bischof, ohne dass dies eigens geschildert wird.

Uns erscheint die Geißelung des Kaisers als nahezu makabres Schauspiel und Ausdruck eines übersteigerten Sünden- und Selbstbestrafungsbedürfnisses Ottos. Die Geißelung war aber eine häufig geübte Praxis im Mittelalter unter Mönchen und „frommen“ Laien, vor allem in den Reform- und „Minderorden“ und deren Laienbruderschaften, denen Otto nahestand. So geißelten sich die Heiligen Franziskus und Dominikus. Geißelung wurde als „Compassio“ Christi, als Teilnahme am Leiden Jesu Christi angesehen. Sie galt wie Gebet, Betrachtung und Askese als „Disciplina“, d.h. als geistliche „(Selbst-) Erziehung“, „Übung“, um sich zu überwinden und Gott näher zu kommen. Sie lief nach einem Ritus ab, der hier in der Schilderung der Geißelung Ottos in den verwendeten Schlüsselworten deutlich erkennbar ist. Hinzu kommt, dass nach mittelalterlicher Auffassung der Sündenvergebung durch den Priester eine „Genugtuung“ folgen sollte. Gottes „Gnade“ war nicht „geschenkt“ wie bei Luther später, und man konnte nie „genug tun“! Die Geißelung Ottos sollte also nicht als Ausdruck eines verzweifelten „Sündenbewusstseins“ des Kaisers interpretiert werden. Sie trägt auch hier den Charakter einer öffentlichen Darstellung seiner Bußbereitschaft und einer Demonstration seiner intensiven Frömmigkeit, wobei dies alles natürlich in der Sterbestunde radikalisiert erscheint.

 

Das Testament des Kaisers


Nach seiner Ruhepause schickt der Kaiser die erneut Versammelten wieder bis auf einen kleinen Kreis hinaus, dem die Kaiserin Maria, Graf Heinrich von Wohldenberg und „secretarii“(!) angehören. Er wendet sich an diese:
 „Was nützt es, wenn wir mein Leben behandeln, das nichts mehr ist? Eines ist besser, dass wir das von mir unterschriebene Testament regeln, ich bitte, dass es unversehrt bleibe, sowohl was die Burgen betrifft als auch die Menschen.“
Im Testament wird als bestimmendes Motiv des Kaisers angegeben: 
„Lasst uns also als Heilmittel für unsere Seele unser Testament machen.“
In der Urkunde ordnet er seine persönlichen und das Reich betreffende Verhältnisse. Er zeigt sich noch auf dem Totenbett als Herrscher, der in der Lage ist, Anordnungen aufzuerlegen und Vergünstigungen zu erweisen. Dabei erweist er sich als umsichtig und gerecht, nicht nur, was die Weitergabe von Reichsgütern betrifft, sondern auch bei der Verteilung seines persönlichen Vermögens. Ebenfalls will er Schaden ersetzen, den er kirchlichen Einrichtungen zugefügt hat.

Als hauptsächlichen Testamentsvollstrecker setzt er seinen Bruder Heinrich, „den Langen“ (Älteren), ein, (nominell) Pfalzgraf  bei Rhein,  betraut aber auch die Kaiserin, Ministeriale, seine Dienstmannen und die „treuen und lieben“ Bürger Braunschweigs mit der Durchführung einzelner Bestimmungen. Er bittet seinen Bruder
„das heilige Kreuz, die Lanze, die Krone und den Zahn des heiligen Johannes Baptistae und alle Reichsinsignien - mit Ausnahme des Mantels, den er an das Kloster St. Aegidien gegeben hat - 20 Wochen nach seinem Ableben aufzubewahren“ und sie nur „demjenigen, den die Fürsten einmütig und in rechter Weise wählen werden oder dem, der jetzt erwählt ist, wenn die Fürsten ihm zustimmen“
auszuliefern, und zwar  
“um der Ehre Gottes und unseres Heiles willen“ 
unentgeltlich oder jedenfalls nicht aus der Reichskasse. Otto scheint sich damit abgefunden zu haben, dass Friedrich II. die Kaisernachfolge antreten würde. 

Was die Harzburg betrifft, erklärt er: 
Die „Hartisburg soll dem Reich rasch zugeführt werden, und diesem wird auch der Turm übereignet, den wir darin gebaut haben. Die Grafen von Wohldenberg sollen ihr Lehen behalten…“
Wahrscheinlich ist damit der Turm im Westteil der Burg gemeint, den er wohl auf den Ruinen des salischen Viereck-Turms errichten ließ. Möglicherweise wurden in diesem Turm die Reichinsignien aufbewahrt und vielleicht spielten sich auch die geschilderten Szenen in einem seiner Räume ab. So bietet dieser teilerneuerte Turm dem heutigen Besucher nicht nur eine schöne Aussicht über das Burgareal, sondern auch die Gelegenheit zum Gedenken an das Ende eines deutschen Kaisers, dem man in jüngster Zeit wieder einige Aufmerksamkeit zugewandt hat. Das schon genannte Buch von Hucker ist zu nennen und die im in Braunschweig zum Andenken seines 800. Krönungsjahres 2009 durchgeführten Veranstaltungen mit der Ausstellung: „Otto IV. – Der Traum vom welfischen Kaisertum“ sowie deren (gleichnamiger) Katalog (Petersberg 2009). Auch zum 800. Jahrestag seines Todes (2018) fanden Gedenkveranstaltungen statt, so in Bad Harzburg; die Stadt hat übrigens Ottos Wappen in das Stadtwappen übernommen hat (einer der Welfenlöwen fehlt).

Otto IV.
Wappen Ottos IV., erstes authentisch überliefertes Kaiserwappen (Handschrift 13. Jahrhundert / Matthäus Paris - Corpus Christi College, Cambridge, Parker MS 16 fol. 18 ) - zeigt  auf einem Schild drei Leoparden oder Löwen und den (geteilten) Reichadler. Die Leoparden-Löwen fallen mit dem Wappentier der Platagenêt und der Welfen zusammen. Otto IV. war über seine Mutter Mathilde von England ein Mitglied des Hauses Plantagenêt.
Harzburg
Der zum Teil wieder aufgerichtete "Turm Ottos IV." (oder "Pulverturm")

Harzburg
 Blick ins Innere des Turms

Sofort nach der Errichtung des Testaments schickt Otto den Grafen Wohldenberg nach Braunschweig ab, wo er eine große Summe an die Armen und „seine Familie“ austeilen soll. Nach der Quelle von Martène/Durand widersetzt sich der Bruder des Kaisers diesem Vorhaben und will die Summe begrenzen – was bei ihm als Haupterben plausibel erscheint; nach dem Bericht des welfentreuen Scheid stimmt er zu, dass die Summe so groß sein soll ,  dass sie dem Spender beim Begräbnis – „wie es dem Herrn und dem Reiche“ gezieme – zur „hohen Ehre“ gereiche.

Der Kaiser trifft auch Vorkehrungen für sein Begräbnis. Er will im vollen königlich-kaiserlichen Ornat aufgebahrt werden, mit einem feinen Untergewand und dem königlichen Obergewand angetan, eine (Begräbnis-)Krone, die er für „30 Mark“ bestellt hat, auf dem Haupt, Szepter und Reichapfel in den Händen, das Schwert zur Seite, Samtstiefel mit vergoldeten Sporen an den Beinen, Ring am Finger und Reife an den Armen. So erfahren wir, warum die Reichsinsignien nicht unverzüglich Friedrich II. ausgehändigt wurden, denn bis auf die Krone, die er im Grabe tragen wollte, wird es sich um diese gehandelt haben.

Ottos Testament wurde am 18. Mai unter Nennung der Zeugen besiegelt. An erster Stelle steht „Sifridus Episcopus Hildeneshemensis“, ihm folgen weitere Geistliche, dann werden die  Laien angeführt, bei denen der „Comes de Waldenberg“ voran steht. Seltsam ist, dass der Abt von Walkenried nicht in der Zeugenliste erscheint – wahrscheinlich ist er bei der offiziellen Niederschrift des Dokuments schon abgereist, vielleicht um seinen Bericht möglichst rasch abzufassen. (So meint es jedenfalls Sabine Schäfer in ihrem 2009 erschienenen historischen Roman „Dem Kaiser die Welt“.)

In den Morgenstunden des darauf folgenden Tages schwanden dem Kaiser die Sinne;  „erhoben durch den Leib des Herrn“ (die Hostie), der ihm ja auf Grund der Absolution „täglich“ gereicht werden konnte, schlief er –  so in der Fassung Scheids - „pie“, in „frommer Weise“, ein. Otto war kaum 43 Jahre alt geworden.

Das Innere des Braunschweiger Doms. Das Grabmal Heinrichs des Löwen und seiner Frau befindet sich vor dem Choraufgang. Otto IV. erhielt seine Grablege in der Nähe der Eltern. (Bild: wikimedia commons. Autor: PtrQs)

Otto fand in der von seinem Vater gestifteten und von ihm geförderten Braunschweiger Stiftskirche St. Blasius ("Dom") sein Grab, wie seine ersten Frau Beatrix. Eine von den Besuchern meist übersehene (moderne) Gedenkplatte wurde zu Füßen des prächtigen Grabmals seiner Eltern, Heinrichs des Löwen und seiner zweiten Frau Mathilda von England, in den Boden eingelassen. (Die Sarkophage des Fürstenpaares befinden sich in der Unterkirche.)

Ottos Sarkophag ist in der unter dem Monument der Eltern liegenden Gruft der Welfen nicht aufzufinden. Es ist anzunehmen, dass Otto in Braunschweig, wo man ihn bis zuletzt als Kaiser ehrte, eine standesgemäße Bestattungsausstattung erhielt. Auch der geizige Bruder und Haupterbe Heinrich stimmt nach der "Narratio" zu, dass sein Bruder mit allen Ehren, wie es einem Kaiser gezieme, bestattet werden solle. Möglicherweise ist die rechts neben dem Chor befindliche Fürstenstatue für seine Grablege bestimmt gewesen - so vermutet Hucker, a.a.O., S. 450. Nach Hucker war das heutige Standbild ursprünglich eine Liegestatue. Dass sich eine Grablege des Welfenkaisers im Dom und wohl auch an exponierter Stelle befand - vielleicht da, wo die Gedenkplatte eingelassen ist - bezeugen zwei Gedenktafeln. Eine heute verschwundenen Holztafel mit Pergamentüberzug aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts war am Pfeiler zur Rechten des Grabmals Heinrichs und Mathildas angebracht. Der Text der Tafel wurde überliefert. Auf ihr las man (in Niederdeutsch):
"Anno MCC VIII (1208. Das Datum ist falsch!) is gestorven de Dorchluchtige Forstinne (Fürstin) Fruwe Beatrix ein Dochter des Romischen Konninges Philippi unde ein Gemal Kaiser Ottens des verden ein Here (Herr / Herrscher) tho Brunswick unde alhier in de Kercken begraven worden . Anno dusent CC XVIII (1218) is tho der Hartzborch de grotmechtige Kayser Otto des Namens de Verde ein Here tho Brunswick Herthogen Hinricken des Lauwen Sone gestorven unde in de Kercken Sancti Blasii binnen Brunswick begraven worden."
Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528
Eine andere, um 1425 enstandene, heute im Herzog Anton Ulrich-Museum befindliche, bemalte und beschriebene Holztafel zeigt die beiden Herrscherpare Heinrich (den Löwen) mit Matilda / Mechthild (von England) und Kaiser Otto mit Beatrix ( von Schwaben) in Prachtgewändern. Die Schrift darunter lautet ( aus dem Lateinischen übersetzt):
"Hier liegt Heinrich, einst Herzog, Erbauer dieser Kirche, von ausgezeichnetem Adel, fromm,  vereint mit seiner durch Sittsamkeit ausgezeichneten Gattin Mechthild, des englischen Königs Tochter, den Armen mit großzügiger und wohltätiger Schlichtheit zugewandt. Möge Gott selbst sie mit Engelsspeisen nähren.  Bei ihnen (adiacet) liegt der aus ihrem Blut stammende, gewählte und gekrönte König Otto - den Würmern zur Speise gegeben. Seine Gemahlin war die schöne Tochter Philipps aus edlem Geschlecht, nun Asche, einst Rose. Der du diese Verse liesest, gedenke ihrer, bedenke bitte, was ist [menschliches] Fleisch, Leben und Angelegenheit anderes als Tod, Asche, Schatten."
Die Erinnerungstafel an Heinrich den Löwen mit Matilda (links oben) und Otto IV. mit Beatrix (rechts). (Bild: Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528 - Herzog Anton Ulrich-Museum)

Die ursprüngliche Grablege Ottos fiel Anfang des 18. Jahrhunderts Umbauarbeiten zum Opfer. Der aufgeklärt-absolutistische Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel ließ die - bei der späten Umgestaltung der ehemaligen Stiftskirche zur evangelischen Gemeindekirche - hinderlichen Sarkophage seiner Vorfahren beseitigen und verfrachtete deren Überreste in einen Kalkstein-Kasten im Untergrund der Kirche. Auch der Kaiser und die Königin fanden in der sogenannten "Welfentumba" ihre letzte Ruhestätte, eine Art Massengrab, in dem sie sich den engen Raum mit den sterblichen Überresten von elf anderen Familienangehörigen teilen. Über Otto heißt es auf der kupfernen Deckplatte: 
"...REGNO PRIVATUS NON GLORIA" - "Der Herrschaft [als Kaiser] wurde er beraubt [vom Papst], nicht aber der Glorie"
Wir möchten sagen:  
"Sic transit gloria mundi" - "so vergeht weltlicher Glanz".

Otto IV.
Braunschweiger Dom: Grabmonument Heinrichs des Löwen (+ 1195) und Matildas von England (+ 1189). Heinrich hält ein Modell der von ihm gestifteten Kirche in den Händen. Im Bild vor dem Grabmal die (inzwischen erneuerte) Gedenkplatte für Otto IV. (Bild: wikimedia commons - Autor: Brunswyk). Wann das Grabmal errichtet wurde, ist umstritten. Es spricht einiges dafür, dass es zu Lebzeiten Ottos IV. geschaffen wurde - so Hucker in seinem Buch (S. 258 ff.). Andere plädieren für eine Spät-Datierung zwischen 1230 und 1240

Otto IV.

Die 2009 erneuerte Gedenkplatte nennt auch Beatrix von Schwaben

Otto IV.
Gotische Fürstenstatue am Chor des Braunschweiger Doms - möglicherweise für ein Grabmal Ottos IV. gestaltet.  Die Stein besetzte Schließe am Obergewand kennzeichnet den herausgehobenen Stand des Trägers. Rosen und Lilien auf dem Gürtel (mit Almosentasche) können auf das Haus Plantagenêt verweisen, ebenso das nach englischer Manier aufgerichtete Schwert ( Bild: wikimedia commons - Autor: Brunswyck)


 Die Welfentumba in der Krypta des Braunschweiger Doms (Bild: wikimedia commons - Autor: Geak). Die Kupferplatte erwähnt Beatrix und Otto: "Als erste wurde am Grab des Schwiegervaters niedergelegt, kaum dass sie ins (Ehe-)Gemach eingegangen war, die Enkelin Friedrich Barbarossas, 1208 (falsches Datum !), deren Gatte Kaiser Otto IV. dabei war, die auf unrechte Weise angeeigneten Raubtümer des Papstes diesem zu entreißen, er wurde unschuldig (innocens) von Innozenz III. exkomuniziert und der (Kaiser-)Herrschaft beraubt, nicht aber des Glanzes. Die Erde verließ er 1228" (Bild: Peter Koblank, Staufergräber, Dom St. Blasii, Braunschweig)

So ruht Otto IV. im Schatten seines Vaters, der ihn bis heute an Ruhm überflügelt, obwohl er es nicht bis zum Kaiser gebracht hat. Nationale Sagen wie bei Heinrich IV., Friedrich I. und II. haben sich um den wenig charismatischen Welfenkaiser nicht gebildet, obwohl die Erzählung von seinem Ende Ansätze einer Legendenbildung zeigt, die auch fortgesetzt wurden. So erzählte man, die Hostie, die der Kaiser am Ende wegen seiner Schwäche nicht mehr einnehmen konnte, sei wunderbarer Weise in seinen Körper eingedrungen. Noch phantastischer ist die Legende, sein Leichnam sei vor der Grablegung in Braunschweig nach Rom gebracht worden, um dort vom Papst die Loslösung vom Bann bestätigt zu bekommen.

Den Besuchern einer Führung auf dem Burgberg wird bei der Erzählung seiner Geschichte aber wohl vor allem die Ableitung des Wortes „den flotten Otto haben“ - auf Grund seines peinvollen Sterbens - hängen bleiben.

Otto IV.
Zum Abschluss noch einmal eine Darstellung Ottos IV. Es stammt aus dem "Schichtbuch" (1514) des Braunschweiger Zollschreibers Hermen Bote, von dem im übernächsten Blog die Rede sein wird (Bild: Stadtarchiv Braunschweig). Der Mantel, den Otto auf dem Bild trägt, erinnert an den purpurfarbenen Krönungsmantel, der in der Mittelalter-Ausstellung der Burg Dankwarderrode in Braunschweig zu sehen ist.

Kaiserlich-königlicher "Prunkmantel" (Umhang) Ottos IV. - laut Testament schenkte er ihn dem Benediktinerkloster St. Aegidien in Braunschweig. 1744 wurde er vom Kloster an eine andere kirchliche Einrichtung verkauft und dann als Altardecke umgearbeitet. Der Umhang ist aus Seidensamt gefertigt (Herkunft: Byzanz) und  mit Gold-Stickereien versehen (englisch; springende Leoparden, Adler, Sterne, Halbmonde, Christus und Maria, Engel - Embleme, die der Kaiser auch sonst verwendete). (Aufbewahrungsort und Bild: Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig / kulturerbe.niedersachsen.de / Foto: Keiser)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Mit der Nutzung der Kommentarfunktion erkenne ich an, dass die Datenschutzerklärung gilt